15-04-2023

Haben Schweizer Forscher das Rätsel der Tragödie am «Berg des Todes» gelöst?

Im Ural starben 1959 russische Wanderer einen schrecklichen Tod. Seither ranken sich zahlreiche, zum Teil wilde, Theorien um den Vorfall. Auch Schweizer Forschende mischen seit Jahren mit. Nun berichten sie von neuen Beweisen.

15. April 2023. Alle Rechte liegen bei 20min.ch. Autorin Fairy Anabelle Riebeling

Über 60 Jahre ist es her, dass am Djatlow-Pass in Russland eine Gruppe Wanderer unter bis heute ungeklärten Umständen ums Leben kam. Ermittlungen von Schweizer Forschenden bringen immer mehr Licht ins Dunkel der Geschehnisse am «Berg des Todes».

Was man bisher wusste: Acht Männer und zwei Frauen wollten 1959 zum Berg Otorten im Ural wandern. Dort kamen sie jedoch nicht an. Doch davon ahnte die Truppe – hier gemeinsam mit ihren Unterstützern – vor Antritt der Expedition nichts.

Stattdessen wurde die von Igor Alexejewitsch Djatlow angeführte Gruppe später tot und grob entstellt aufgefunden. Die Umstände sind bis heute ungeklärt.

Zwar galt die Route damals aufgrund des Wetters und des hohen Schnees zu dieser Jahreszeit als sehr schwierig, aber Grund zur Sorge hatte keiner der Expeditionsteilnehmenden. Sie waren alle erfahren und freuten sich auf das bevorstehende Abenteuer.

Als Juri Judin nach kurzer Zeit verletzungsbedingt aufgab, zogen seine Freunde zu neunt weiter. Wegen schlechter Wetterbedingungen kamen sie jedoch schnell von der geplanten Route ab.

Eigentlich wollten sie schon am ersten Tag den Djatlow-Pass überqueren, ...

... aber stattdessen errichteten sie ihr Nachtlager beim Berg Kholat Syakhl (Berg des Todes) – ein tödlicher Fehler, denn keiner von ihnen überlebte die Nacht. (Im Bild: das letzte Bild der Wanderer)

Als die Leichen der Studenten in den eisigen Berghängen gefunden wurden, wiesen sie unglaubliche Verletzungen auf.

Die Körper der Toten waren teilweise unbekleidet, ihre Schädel eingeschlagen, die Rippen gebrochen. Einem Opfer sollen Zunge und Augen gefehlt haben.

Kampf- oder auf das Lager zulaufende Spuren fanden die Entdecker nicht. Tests zeigten eine hohe radioaktive Verstrahlung der Kleidungsstücke der über Nacht ergrauten Opfer.

Was mit den neun Bergsteigern passiert ist, ist bis heute offen, was Spekulationen befeuert.

Während die offiziellen Stellen bis heute beteuern, die Studierenden seien eines natürlichen Todes gestorben, verdächtigen andere wahlweise das Nomadenvolk der Mansen, biologische Phänomene, wie die sogenannte Hyperthermie-Demenz, Blitze oder den russischen Yeti.

Andere wiederum sind davon überzeugt, dass das Massaker die Tat von Ausserirdischen gewesen ist. Doch es gibt auch die These, dass die Gruppe von einer streng geheimen sowjetischen Waffe getötet worden sein soll.

Forschende der ETHs Lausanne und Zürich liefern nun neue Beweise für die Lawinentheorie, für die sie im vergangenen Jahr hatten Kritik einstecken müssen. Mithilfe von Drohnenaufnahmen erstellten sie ein 3D-Modell, das zeigt, dass die Hänge vor Ort durchaus steil genug für Lawinen waren – «und das nicht nur stellenweise, sondern durchgängig.» Eine flachere Stelle zum Zelten zu finden, sei gar nicht möglich gewesen. Communications Earth & Environment: A. Puzrin und J. Gaume (2022)

Foto- und Videoaufnahmen von Expeditionen in die Regionen belegen zudem, dass es in der Region – anders als es bisher behauptet wurde – sehr wohl zu Lawinen kommen kann. Communications Earth & Environment: A. Puzrin und J. Gaume (2022)

 
Kholat Syakhl

 

Darum gehts

  • Auch nach mehr als 60 Jahren sind die Umstände des Todes von neun russischen Studentinnen und Studenten am Djatlow-Pass ungeklärt.
  • Stellen zufolge sind die neun erfroren.
  • Weil das nicht die Auffälligkeiten an den Leichen erklärt, kursieren bis heute verschiedene Thesen.
  • Auch Schweizer Forschende mischen in der Diskussion seit Jahren mit.
  • Nun liefern sie erneut Beweise für das, was ihrer Meinung nach damals passiert ist.

Ihr Ziel war der Berg Otorten im Uralgebirge. Doch dort kamen die russischen Studentinnen und Studenten nie an. Stattdessen starben die jungen Männer und Frauen, die am 25. Januar 1959 aufgebrochen waren, in der Nacht auf den 2. Februar 1959 unter mysteriösen Umständen rund zehn Kilometer vor ihrem eigentlichen Ziel, am Kholat Syakhl (auf Deutsch: Berg des Todes, siehe Bildstrecke oben).

Die Stelle, an der die neun umkamen, heisst seither Djatlow-Pass. Er ist benannt nach Igor Alexejewitsch Djatlow, dem 23-jährigen Anführer der Gruppe, deren Tod bis heute ungeklärt ist. Offiziellen Stellen zufolge sind die neun erfroren. Doch an der Version gibt es seit jeher Zweifel. Denn sie erklärt nicht, warum die Leichen zum Teil nackt, ihre Schädel zerschmettert und die Rippen gebrochen waren.

Verschwörungstheorien und handfeste Beweise

Statt Belegen fanden sich im Laufe der Zeit jedoch jede Menge alternativer Erklärungen. Demnach tragen wahlweise Aliens, der Yeti oder Höhenwinde die Schuld. Auch militärische Geheimexperimente und -waffen sowie ein Zustand namens Hyperthermie-Demenz wurden schon zur Erklärung herangezogen, ebenso wie von Blitzen begleitete Wetterkapriolen, ballistische Raketen oder Atomwaffentests.

Im Jahr 2021 lieferten schliesslich Forschende der ETHs Lausanne und Zürich anhand von im Fachjournal «Nature – Communications Earth & Environment» veröffentlichten Modellrechnungen Argumente für die ebenfalls schon lange im Raum stehende Lawinentheorie (siehe Video unten). Doch die stiess – vor allem in Russland – auf wenig Gegenliebe. Im Jahr 2022 legte das Team um Alexander Puzrin von der ETH Zürich noch einmal nach und entkräftete die Kritikpunkte von russischer Seite mit neuen Belegen. Diese zeigten, so die Forscher damals, dass in der Nacht der Tragödie Lawinengefahr bestand.

Dieses Video veröffentlichten Johan Gaume von der ETH Lausanne und Alexander Puzrin von der ETH Zürich im Jahr 2021. Video: 20M/EPFL

 

Ist das Rätsel um den Djatlow-Pass geklärt?

Beobachtungen aus dem Jahr 2023 stützen die damalige Schlussfolgerung: «Am 7. Januar 2023 haben dieselben Bergführer aus dem Ural, die an der letztjährigen Expedition teilgenommen haben, ein Foto von einer weiteren Schneebrettlawine gemacht», teilt Puzrin 20 Minuten per Mail mit. «Diesmal sogar auf demselben Berg, auf dem die Djatlow-Gruppe ums Leben kam, etwa 700 m von ihrem Zelt entfernt!»

Damit wären in jedem der letzten drei Winter neue Schneebrettlawinen dokumentiert worden – «und sie kommen immer näher an den Standort des Zeltes heran.»

Das Foto unten wurde von Dmitriy Borisov von Ural Expeditions & Touren am 7. Januar 2023.

Diese Aufnahme stammt vom 7. Januar 2023. Dmitriy Borisov, Ural Expeditions & Tours
Diese Aufnahme stammt vom 7. Januar 2023.

Die neue Beobachtung bestätige, «dass Schneebrettlawinen nicht nur in der Umgebung vom Djatlow-Pass möglich sind, sondern auch selbst auf dem Kholat Syakhl, auf dem man das zerstörte Zelt gefunden hat», sagt Puzrin. Das sei eine ganz neue Beobachtung, die man noch nie seit 1959 gesehen habe. Ist das Rätsel um die Geschehnisse am «Berg des Todes» also geklärt? Nein, so der ETH-Forscher: «Ob es wirklich eine Lawine war, die zu ihrem Tod geführt hat, könnten uns nur Igor Djatlow und seine Kameraden selbst bestätigen.»

Auch das Horror-Genre hat sich des Themas angenommen: Im Film «Devil's Pass» (2014) will eine Gruppe US-Studierender den Todesfällen am Djatlow-Pass auf den Grund gehen – und kommt selbst ums Leben. Video: Ascot Elite Entertainment

 

 

 

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